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15. Januar 2010 5 15 /01 /Januar /2010 12:03
Heute gelesen in www.spiegel.de

Gewissen gegen Gesetz

Von Sonja Hartwig

Emelia Marcovich, 19, verweigert wegen ihres Gewissens - und muss dafür ins Gefängnis
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Sonja Hartwig

Emelia Marcovich, 19, verweigert wegen ihres Gewissens - und muss dafür ins Gefängnis

Emelia Marcovich, 19, weiß genau, was sie am 1. Februar machen wird: ins Gefängnis gehen. Sie widersetzt sich der Wehrpflicht - aber Israel zieht alle jungen Leute nach der Schule zum Militär ein, auch Frauen. Emilia ist Pazifistin. Jetzt bezeichnen selbst manche Freunde sie als Verräterin.

In der letzten Januarnacht wird Emelia nicht schlafen, sie wird ihre Sachen für 28 Tage packen und am Morgen etwas Bequemes anziehen, damit sie den Tag durchsteht. Sneakers, Jeans, T-Shirt. Um 9 Uhr wird sie in Ramat Gan, eine Autoviertelstunde von Tel Aviv gelegen, ankommen und verhaftet werden. Am 1. Februar geht Emelia ins Gefängnis.

Dieses Datum steht in ihrem Terminkalender, ist geplant wie eine Reise ins ungewisse Abenteuer, bei der eines klar ist: Sie endet hinter Mauern, in einer Zelle des Militärgefängnisses. Weil sie nicht einem Gesetz gehorchen will, das gegen ihr Gewissen spricht. Weil sie für den Frieden kämpft, sagt sie. Weil sie eine Verräterin ist, sagen andere, Fremde wie auch manche Freunde.

Auf der Straße rufen sie ihr nach: "Du hast kein Recht, hier zu sein. Du verdienst es nicht, Israelin zu sein, zu diesem Land zu gehören. Geh, leb in Gaza." Es ist eine Anschuldigung aus einem Volk, das weder in der Geschichte noch in der Gegenwart endgültige Grenzen kannte, das den Ausnahmezustand im Alltag integriert hat und Verteidigung gegen Versöhnung ausspielt. Es sind Vorwürfe von Vertretern einer Generation, die dazu erzogen wurde zu dienen: Jeder geht nach der Schule in die Armee, sagt Emelia, das ist Gesetz. "Du kannst nicht zwischen Militär und Zivildienst wählen, es sei denn, du bist streng religiös. Die Armee ist in diesem Land heilig."

"Ich kann ihn nicht sehen, wo ist der Feind?"

Die Briefe zur Anhörung kommen schon vor der Volljährigkeit. Emelia bekam ihren ersten mit 16: eine Einladung zur medizinischen Untersuchung. Sie hatte vorher nie über die Armee nachgedacht, nie darüber, was es bedeutet, dem Staat in khakifarbener Uniform zu dienen. Sie hatte in der Schule Generälen gelauscht, die für den Dienst an der Waffe warben, sie hatte Schulbücher gelesen, die vor den Feinden warnten.

In ihrem Abschlussjahr war wieder ein Offizier in der Schule, er zeigte ein Video: Szenen aus dem Krieg, Libanon 2006 und Gaza 2009. Soldaten an Waffen, Kassam-Raketen auf Siedlungen. Der Offizier sagte: "Wenn ihr in den Krieg ziehen, für euer Land kämpfen wollt, kommt in meine Einheit, das ist die Richtige für euch!" Emelia fragte sich: "Was sagt er? Wer will schon in den Krieg, wer will an die Front? Niemand will kämpfen, niemand will töten."

Ihren anerzogenen Feind traf sie zum ersten Mal vor zwei Monaten, am 23. Oktober in Bil'in, Westjordanland, von israelischen Siedlungen umgeben. Sie dachte: "Wo ist er? Wo ist der Feind, von dem in der Schule gesprochen wurde? Ich kann ihn nicht sehen, wo ist der Feind?"

Rebellion von ein paar hundert Jugendlichen

Während sich ihre beste Freundin als Soldatin für sechs Jahre verpflichtete, versammelte sich Emelia mit den Bewohnern von Bil'in zu einer Demonstration. Von der Moschee marschierten sie zu der Sperranlage, protestierten gegen die illegalen israelischen Siedlungen. Bewaffnete Soldaten standen ihr gegenüber, kaum älter als Emelia.

Fast jeden Freitag nach dem Mittagsgebet gibt es in diesem Dorf Proteste gegen die Besetzung. An diesem Tag war er der Bewegung gewidmet, der sich Emelia anschloss, nachdem sie nach Schülern gesucht hatte, die genauso dachten wie sie: Shiministm. Wörtlich übersetzt: Zwölftklässler, selbst ernannte Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, als Drückeberger verschrien.

Da Wehrdienst Pflicht und das Gewissen meist keine Entschuldigung ist, schrieben im August 2001 erstmals 62 israelische Oberstufenschüler einen offenen Brief an den damaligen Premier Ariel Scharon. Später unterzeichneten ihn 300 Jugendliche und kritisierten die Politik der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten. Einer von ihnen war Haggai Matar, einer der Gründer der Shiministm. Nach mehreren Gefängnisstrafen kam er vor das Militärtribunal, wurde zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt - ein Exempel zur Abschreckung. Die Bewegung fand jedoch weitere Anhänger.

Keine Armee für das Land, sondern ein Land für die Armee?

Manchmal denkt Emelia, Israel habe keine Armee für das Land, sondern ein Land für die Armee. Sie will kämpfen, dafür, dass Israelis und Palästinenser wieder auf gleichen Straßen fahren, dass sie nicht getrennt sind und gegensätzlich leben. Dafür, dass ein Kind, das Mohammed heißt, die gleichen Rechte besitzt wie eines, das Moshe gerufen wird.

Vor zwei Monaten trat sie deswegen vor die Kamera, zusammen mit Ya'ara, Efi und Or. Sie verlasen einen Brief, in dem sie die Politik an Checkpoints, den Bau der "Apartheidmauer", die Belagerung des Gaza-Streifens kritisierten und ihren Kriegsdienst verweigerten. Die Erklärung unterschrieben 160, die gerade ihr Abitur gemacht hatten. Für vier von ihnen folgte Arrest, die anderen kamen davon, meist wegen angeblicher und attestierter mentaler Probleme. "Ich hätte auch sagen können, dass ich mich umbringe, dann wäre ich ausgemustert worden", sagt Emelia. "Aber ich will das nicht."

Emelia wurde zum Gewissenskomitee geladen: Neun Männer saßen vor ihr, Soldaten, Generäle und zwei Zivilisten, eine Frau schrieb Protokoll. Emelia sagte: "Ich bin Pazifistin, ich denke nicht, dass Probleme mit Gewalt und Krieg gelöst werden können." Das Komitee schlug ihr vor, in einer unbewaffneten Einheit zu dienen. Nein, sagte sie, das hieße trotzdem, den Krieg zu unterstützen. "Ich unterstütze das aber nicht. Ich werde nicht dienen."

Häftling 6054026 will Emelia unterstützen

Am 1. Februar ist sie zur Militärbasis bestellt. Nach einer ersten Verbüßung, die bis zu 28 Tagen dauern kann, werden die Verweigerer erneut einberufen, erneut bestraft. Eine Beugehaft, die sich beliebig dehnen kann.

Ihre Freundin Or Ben-David, Häftling mit der Nummer 6054026, wurde Anfang Dezember aus ihrer zweiten Haftstrafe entlassen. Sie saß in einer Zelle, Militärgefängnis Nr. 400 in Tzrifin, manchmal telefonierten sie. Or erzählte dann, dass sie sich mit den Wärtern stritt, weil diese sie eine Soldatin nannten, dass sie ihr Lachen nicht mochten. Immerhin, sie lacht, dachte Emelia.

In einer E-Mail am sechsten Dezember schreibt Or: Wahrscheinlich muss ich wieder zurück, ich weiß nicht wann, nicht wie lang es dauert, bevor ich freigestellt werde. Was sie aber wisse: dass ihre Überzeugung es wert ist, dass ihre Werte es verdienen, in eine Zelle zu gehen. Und daher wird sie auch Emelia unterstützen, im Februar, wenn sie ihre Sachen packt. Sie wird mit zur Militärbasis fahren und demonstrieren.

Sofern Or dann nicht selbst im Gefängnis sitzt. Am 15. Dezember wurde sie erneut zu 34 Tagen verurteilt.

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